Das Halti
Kopfhalfter - Erziehungshilfe, Halsband-Ersatz oder Management-Lösung?

Von Dr. Ute Blaschke - Berthold (überarbeitet im Dezember 2002) - Mit freundlicher Genehmigung

Man kann sie immer öfter sehen - Hunde, die statt eines Halsbandes eine Leinenkonstruktion am Kopf tragen, die einem Pferdehalfter nicht unähnlich ist. Bei den Hundehaltern werden diese Hilfsmittel sehr unterschiedlich auf- und angenommen. Die Meinungen reichen von "Super!! Endlich kann ich meinen Hund mit links führen" bis "Dieser neumodische Kram ist überflüssig und verschandelt nur das Aussehen der Hunde!" Ganz extreme Meinungen gehen schlicht von Tierquälerei aus. Wie so oft liegt auch hier die Wahrheit irgendwo in der Mitte, und wo die Mitte nun genau ist, hängt nicht unerheblich vom Standpunkt des Betrachters ab. In solchen Fällen ist es immer hilfreich, ganz unvoreingenommen die nackten Fakten zu betrachten, um sich so Klarheit zu verschaffen, worüber man eigentlich redet oder sich ereifert.

Bei Pferden, Kamelen und anderen Haustieren sind Kopfhalfter ein Jahrtausende alter Hut. Aber ganz so neumodisch wie so mancher sich das denken mag, sind Kopfhalfter für Hunde nicht. In den USA von Dr. Richard K.Anderson und Ruth E. Forster1 entwickelt sind sie dort schon beinahe seit 30 Jahren gebräuchlich. Anfang der 70er kam dann ein von dem britischen Tierpsychologen Dr. Roger Mugfort entwickeltes Kopfhalfter hinzu, das in Deutschland den Namen für alle Kopfhalfter prägte: HALTI. In den 80er Jahren bei uns noch eine ausgesprochene Seltenheit, wurde der Einsatz von Kopfhalftern ein wesentlicher Bestandteil verhaltenstherapeutischer Arbeit vor allem im Umgang mit Hunden, die übertrieben aggressive Verhaltensweisen zeigten. Heute sieht man sogar auf Ausstellungen Hunde, die am Kopfhalfter geführt werden. In einigen Hundeschulen werden inzwischen Kopfhalfter prinzipiell anstelle von Halsbändern eingesetzt.

Wie wirkt ein Kopfhalfter? Auf welche Art und Weise verändert ein Kopfhalfter das Verhalten des Hundes?

Die Idee, die hinter diesen Kopfhalftern steckt, ist auf den ersten Blick einleuchtend und zieht eine Argumentation aus dem artspezifischen Verhaltensmuster der Hunde heran. Viele Kopfhalfter sind so konstruiert, daß bereits ein sanfter Zug an der Leine die Schlaufe zusammenzieht, die den Fang umgibt: es entsteht ein Schnauzgriff, der von vielen Hunden als Blockade des gerade gezeigten Verhaltens verstanden wird, weil er Bestandteil der Hundesprache ist! Wann immer der Vierbeiner in die Leine springt oder daran zieht, sekundengenau (weil durch den Zug an der Leine ausgelöst) erfolgt daraufhin das Veto des Sozialpartners Mensch - ohne Rucken, ohne laut zu werden und für den Hund von Natur aus verständlich. Soweit die Argumentation. Wir sollten aber nicht davon ausgehen, daß tatsächlich jeder Hund versteht, was dieser Griff um seine Schnauze bedeutet. Michael Fox (1978)2 ordnet den Schnauzengriff unter Hunden als eher selten auftretendes Signal ein. Auch ist Schnauzengriff nicht gleich Schnauzengriff! Ein sanfter Druck auf die Schnauze bedeutet eine vertraute Kontaktaufnahme (!), ein etwas kräftigerer Druck ist eine SPIELAUFFORDERUNG. Der Schnauzengriff als Drohäußerung ist unter Hunden ein sehr schneller, sehr starker Druck.

Das Kopfhalfter ist ein Instrument, das Signale sehr fein weitergibt. Hundehalter mit unruhigen Händen, die ständig an der Leine zupfen und ruckeln, übertragen so ihrem Hund eine verwirrende Fülle von Signalen auf einen kommunikativ sensiblen Körperbereich. Bestenfalls lernt der Hund, daß die Signale seines Sozialpartners (einmal mehr) keinen Sinn ergeben und am besten „überfühlt“ werden. Schlimmstenfalls wird der Hund überfordert, nervös und zappeliger am Kopfhalfter.

Die zeitlich punktgenaue Bestrafung durch das Zusammenziehen der Fangschlaufe genügt den Regeln des Lernens. Damit sie aber auch den Regeln hundlicher Kommunikation genügt, ist eines zu bedenken: einem realen Schnauzgriff gehen Warnsignale voraus! Es ist nicht üblich unter Hunden, ohne Vorwarnung einen Schnauzgriff zu praktizieren. Wo bei der Anwendung eines Kopfhalfters liegt die Vorwarnung? Wo ist das Signal, das die Blockierung des Verhaltens ankündigt? Dieser wichtige Aspekt wird bei der Anwendung von Kopfhalftern oft übersehen. BEVOR der Hund sich so verhält, daß er durch das Kopfhalfter geblockt wird, muß er von uns ein Signal bekommen, welches er mit dem Kunstschnauzgriff verknüpfen kann. Unterlassen wir dieses, so verhalten wir uns aus der Sicht des Hundes unberechenbar aggressiv! Eine Möglichkeit ist es, das Kopfhalfter mit Halsband oder Geschirr zu kombinieren; die Leine mit zwei Karabinern wird sowohl am Kopfhalfter als auch an Halsband/Geschirr befestigt. Die Doppelleine wird so gehalten, daß der Hund ZUERST Zug am Halsband/Geschirr spürt, bevor das Kopfhalfter aktiviert wird. Das Gefühl am Körper ist das Warnsignal, welches den Griff um die Schnauze ankündigt. So hat der Hund wenigstens die Chance zu lernen, welches Signal das Unangenehme ankündigt; nur so hat er die Chance, das Unangenehme zu vermeiden!

Manchmal wird auch erwähnt, ein Kopfhalfter würde beruhigend auf den Hund wirken, weil sich auf dem Nasenrücken ein Akupunkturpunkt befinden würde, der bei Stimulation (= Druck) beruhigend wirke. Auf dem Nasenrücken befinden sich in der Tat solche Punkte; sie werden dem Meridian „Lenkergefäß“ zugeordnet. Einer dieser Punkte befindet sich direkt vor dem Nasenspiegel, der nächste kopfwärts zwischen den Augen. Auf der gesamten Länge dazwischen befindet sich kein psychisch wirksamer Akupunkturpunkt. Der nächstgelegene, psychisch wirksame Punkt befindet sich viel weiter oben auf der höchsten Stelle des Schädels zwischen den Ohren4 . Das Kopfhalfter wirkt am Nasenrücken auf keinen Akupunkturpunkt ein! Direkt unterhalb beider Augen befinden sich drei eng hintereineinanderliegende Punkte des Magen-Meridians. Diese Punkte sind von Kopfhalftern vom Typ „Gentle-Leader“ betroffen: zu eng anliegend oder Dauerzug am Gentle-Leader führen zu einer Dauerstimulation dieser Punkte, was Störungen zur Folge haben könnte. Es gibt „Halti“-Nachbauten, die im Bereich des seitlichen Gesichtes über einen kleinen Ring vernäht sind. Auch dieser Ring liegt im Bereich von einem Punkt des Magen-Meridians. Bei Kopfhalftern diesen Typs ist auf das lockere Anliegen im Bereich der Wangen zu achten. Akupunktur/Akupressur sind ernstzunehmende Heilmethoden; sie sollten nicht unwillkürlich als „Nebenwirkung“ eines Erziehungshilfsmittels in Kauf genommen werden.

Alle Kopfhalfter-Modelle wirken durch mechanische Einwirkung auf den Hundekopf. Nähert man sich mit dem angeleinten Hund einer Reizquelle, so kann der Mensch den Kopf seines Hundes ganz sanft zu sich heranziehen und den Blickkontakt herstellen. Damit ist es möglich, die Konzentration des Hundes wieder auf seinen Menschen zu lenken und aggressive Verhaltensweisen zu unterbrechen. Dies ist eine Lösung aus dem Management, die sehr schnell das Verhältnis von Mensch und Hund entspannen kann. Der Satz „führt man den Kopf eines Tieres, so führ man es ganz!“ trifft auch auf Hunde zu. Mit Hilfe eines Kopfhalfters werden kräftemäßig auch sehr ungleiche Partner wieder ins Gleichgewicht gebracht. Hunde, die durch heftig aggressive Verhaltensweisen an der Leine sich, ihren Menschen und Andere gefährden, können mit Hilfe eines Kopfhalfters sicher geführt und trainiert werden. Safety first!! Diese Forderung gilt aber nicht nur, um Gefahren abzuwenden, die von einem individuellen Hund ausgehen könnten; sie gilt auch, um den Hund, der das Kopfhalfter trägt, vor Schaden zu bewahren! Mechanische Einwirkung bedeutet, daß Kräfte auf den Hundekopf wirken; Kräfte, die bei unsachgemäßer, unangepaßter Dosierung auch Schaden anrichten können. Leinenrucke am Kopfhalfter sollten TABU sein. Doch wer trainiert die Hundebesitzer, die von einem Halsband auf ein Kopfhalter umsteigen? Wer hilft ihnen, den immer noch gelehrten Leinenruck aus ihrem eigenen Verhaltensrepertoire zu löschen? Beim Training ist nicht nur der Hund Lernprozessen unterworfen, auch der Mensch verknüpft bestimmte Bewegungsabläufe mit bestimmten Situationen. Der Hund zieht an der Leine? Der Leinenruck ist nicht von heute auf morgen aus dem Muskelgedächtnis des Menschen verschwunden, nur weil der Hund jetzt eine andere Ausrüstung trägt. Gerade das Umsteigen von der Leinenruck-Technik mit Halsband auf die Führung mittels Kopfhalfter erfordert vom menschlichen Partner ein Höchstmaß an Konzentration und Selbstkontrolle. Neue Hilfsmittel helfen nur dann beim Training, wenn der Mensch umdenkt und umlernt:

Hilfsmittel sind keine externen Gehirne: sie nehmen uns nicht das Denken ab!

Nichts bereitet den Hund auf die plötzliche, harte SEITWÄRTSBEWEGUNG des Kopfes vor; die Gefahr von Schädigungen der Halswirbel liegt durchaus im Bereich des Denkbaren. Macht ein Hund mehrfach die Erfahrung, daß sein Kopf unvermittelt zur Seite gerissen werden kann, verkrampft er zunehmend im Bereich der Halsmuskulatur; auch dies hat wiederum Nebenwirkungen auf benachbarte Gelenke. Vermieden werden kann dieser gesundheitsschädigende Nebeneffekt durch

- doppelte Führung über Halsband/Geschirr UND Kopfhalfter. Der Hund sieht damit aufgerüstet aus? Egal! Hier geht es um die Minimierunggesundheitlicher Risiken!

- strikter Verzicht auf die Leinenruck-Technik

Meiner Erfahrung nach scheint ein Kopfhalfter auch die Mimik des Hundes zu verstellen. Wir alle kennen die Abbildungen von Hundeköpfen, die Drohmimik darstellen. Ein wesentliches Zeichen dieser Mimik ist die FALTENBILDUNG auf dem Nasenrücken. Der Nasenriemen des Haltis hebt sich optisch vom Nasenrücken ab und betont diesen. Das könnte eventuell erklären, weshalb manche Hunde unsicher auf andere Hunde mit Kopfhalfter reagieren. Ich erlebe, daß Hunde mit Kopfhalfter von anderen heftig verbellt oder attackiert werden, wenn diese an ihnen vorbeigehen. Auf den betreffenden Hund OHNE Kopfhalfter dagegen reagieren sie nicht auf diese Weise.

Manche Hunde reagieren auf das Kopfhalfter auch sehr gedrückt; nicht immer hilft eine erneute Eingewöhnung. Es gibt Hunde, die auch nach Monate langem, korrekten Gebrauch eines Kopfhalfters einen sehr gehemmten, depressiven Eindruck machen. Hunde, die am Kopfhalfter überhaupt kein oder nur wenig Erkundungsverhalten mehr zeigen, die nicht mehr schnüffeln oder markieren wollen, sollten so schnell wie möglich vom Kopfhalfter befreit werden. Entweder sie reagieren sehr sensibel auf die Umfassung ihres Kopfes oder sie sind nicht ausreichend an das Tragen des Halfters gewöhnt worden oder aber der Mensch hat durch unsachgemäße Anwendung für genügend schlechte Fehlverknüpfungen gesorgt. Jede einzelne dieser drei Ursachen ist Grund genug, die Anwendung des Kopfhalfters nochmals zu überdenken!

Kopfhalfter sind eine Managementlösung. Mit ihrer Hilfe können Trainingssituationen geschaffen werden, die ohne sie nicht denkbar wären: körperliche Sicherheit für den Menschen und mehr Entspannung für den Hund. Oberstes Ziel sollte es sein, das Training so effektiv zu gestalten, daß Kopfhalfter nur zeitlich begrenzt verwendet werden müssen. Kopfhalfter als Dauerhilfsmittel zur Führung eines Hundes sollten nur wenigen Ausnahmen vorbehalten bleiben. Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anwendung von Kopfhalftern:

  • sorgfältige Gewöhnung des Hundes an das Tragen eines Kopfhalfters Eine gute Beschreibung der Gewöhnung eines Hundes ein Kopfhalfter findet sich bei Linda Telligton-Jones5 . Eine ruhige, gezielte Gewöhnung des Hundes an dieses Ding an seinem Kopf ist Grundbedingung! Es ist durchaus eine gute Idee, JEDEN jungen Hund an ein Kopfhalfter zu gewöhnen. Keiner kann lebenslange Garantien für das eigene und das Verhalten seines Hundes abgeben. Es ist immer ein Pluspunkt, wenn ein Hund bereits an das Tragen eines Halfters gewöhnt ist, wenn es tatsächlich einmal „brennen“ sollte.
  • Doppelte Führung am Kopfhalfter mittels Halsband/Geschirr und Leine mit zwei Karabinern. Sinnvolles Lernen findet nur dann statt, wenn der Hund konstant VOR der Einwirkung durch das Halti ein Signal erhält; dieses Signal sagt ihm (nach gelungener Verknüpfung) die unangenehme Einwirkung vorher, so daß er reagieren kann, um diese zu vermeiden.
  • Der menschliche Partner sollte über eine gute Selbstkontrolle verfügen! Wir Menschen neigen dazu, Frustration durch Bewegungen mit Armen und Händen auszudrücken und abzureagieren: jede kleine Bewegung überträgt sich über ein Kopfhalfter direkt auf einen sensiblen Körperbereich des Hundes! Mensch sollte sich sehr gut überlegen, WAS er eigentlich mit seinen Händen „sagt“.
  • Zum Kopfhalfter gehört unbedingt ein Trainingsplan. Genau die Situationen, die dazu beigetragen haben, dem Hund ein Kopfhalfter anzuziehen, sind die Trainingssituationen. Es geht nicht darum, mit Hilfe des Halfters „irgendwie“ durch die Situation zu kommen. Ein Kopfhalfter sollte nicht als Bestrafungswerkzeug bei unerwünschtem Verhalten mißbraucht werden. Im Gegenteil! Der Vorzug von Kopfhalftern liegt darin, daß der Hund während des Trainings auch in alltäglichen Situationen viel häufiger belohnt werden kann! Ein Kopfhalfter hilft, dem Hund auch in für ihn schwierigen Situationen Konzentration auf den Menschen und Entspannung zu lehren. Nichts nimmt uns das Training ab!

Dr. Ute Blaschke Berthold

Quellen:

  • Ackermann, L: Dog Behavior and training. Veterinary Advice for Owners I 996 (:109)
  • The Dog: Its Domestication and Behavior. 1978
  • Fleischer, Michael, (1987: 109): Hund und Mensch. Eine semiotische Analyse ihrer Kommunikation. Staffenburg Verlag
  • Alle Angaben zu Akupunkturpunkten aus: Draehmpaehl/Zohmann, 1995: Akupunktur bei Hund und Katze

Tellington-Training für Hunde. Kosmos, 1999